Kaarst. Zu den bisher noch wenig beachteten Folgen der digitalen Revolution, die Einzug in das Informationszeitalter gehalten hat, gehören ganz sicher auch die gravierenden Einflüsse auf die Entwicklung unserer Kinder – der Gesellschaft von morgen. Die hiermit verbundenen kulturellen Veränderungen sind gewaltiger, als die der Erfindung des Buchdrucks und Industrierevolution zusammen. 

Seit wir Kindern digitale Geräte an die Hand gegeben haben, die ursprünglich für die Arbeitswelt gedacht waren, müssen wir auch die Folgen für sie und ihre Entwicklung im Blick behalten. Denn durch das Internet haben Kinder wie nie zuvor Zugang zu einer atemberaubenden Fülle an Informationen, können sich Kinder wie nie zuvor selbst unterhalten und sich miteinander vernetzen – alles Dinge, die dem Entwicklungsplan, den die Natur für Kinder vorgesehen hat, zuwider laufen und zwar in vielerlei Hinsicht.

So untergräbt der digitale Konsum – um nur einen Punkt zu nennen –häufig* das gesunde Hirnwachstum. Denn wenn unsere Kinder mit immer mehr Informationen „versorgt“ werden, mehr, als sie verarbeiten können, bremst – vereinfacht ausgedrückt – diese für das Gehirn überdimensionierte kognitive Arbeit das Wachstum des präfrontalen Kortex – der Ort, in dem das Mischen der Emotionen stattfindet, sozusagen der zivilisierende Schmelztiegel des Geistes. Dieser Teil des Gehirns wird ohnehin frühestens ab dem 5. Lebensjahr aktiviert. Und auch dann, wenn die biologische Grundausrüstung bereit ist, muss sie erst trainiert werden, um sich weiterzuentwickeln. Sie scheint sich in dem Maße, zu entwickeln, wie sie gefordert wird, ganz wie ein Muskel. Dieses „Training“ findet de facto aber u.a. aufgrund des zu frühen und zu intensiven digitalen Konsums jedoch kaum noch statt. Eine Folge davon ist u.a., dass unsere Kinder die Fähigkeit verlieren, Kontext zu verstehen. Das bedeutet: Wenn unsere Kinder und späteren Erwachsenen nicht mehr in der Lage sind, zwischen den Zeilen zu lesen oder das hinter dem Gesagten Stehende zu erkennen, dann ist es künftig um die Dialogfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und somit auch Friedensfähigkeit nicht mehr sonderlich gut bestellt. Wir haben keine 200 Jahre Zeit für lange Studien, die das belegen, was Entwicklungspsychologen und Neurologen – und nebenbei bemerkt auch der gesunde Menschenverstand – längst wissen, denn unsere Kinder brauchen jetzt fürsorgliche Eltern und Erzieher, die ihnen helfen, ihre menschlichen Potenziale zu entfalten. Nur dann können sie zu heilen, zuversichtlichen Persönlichkeiten heranreifen, die in der Lage sind, die komplexen Herausforderungen und Probleme der Welt zu erkennen und zu lösen. Und da sich die Problemlösungsnetzwerke im Gehirn bekanntlich während des Spielens entwickeln, ist es eine unserer vornehmsten Aufgaben, Kindern die Freiheit zu echtem Spiel zu ermöglichen, Spiel, das diesen Namen auch verdient. Und dazu gehört per definitionem im seltensten Fall ein digitales „Spiel“. Dies kann diejenigen Kinder, die über ein gewisses Maß an Reife und Hirnwachstum verfügen, durchaus schadfrei unterhalten, Unreiferen jedoch extrem schaden. Durch meine über zehnjährigen Erfahrungen als Direktorin in dem internationalen Kinderprojekt KidsNET – Herzensbildung für Kinder habe ich bereits einen Vorgeschmack dieser Entwicklungen schmecken können. Hier steht viel auf dem Spiel, und darum plädiere ich für große Sorgfalt und Aufmerksamkeit bei der Förderung der Wertvollsten, für die wir verantwortlich sind: unserer Kinder!

 

* in Abhängigkeit von a) Quantität, b) Zeitpunkt und c) Motivation (ähnlich wie beim Dessert, der wenn er a) in Maßen, b) nach der Hauptspeise und c) zum Genuss und nicht mehr zur Sättigung eingenommen wird, niemandem schadet, andernfalls auf Dauer durchaus der Gesundheit abträglich sein kann).